Ausnahmeleben.

Die Allermeisten fragen sich gerade wohl hoffentlich, wie der Alltag die nächsten Wochen aussehen wird oder aussehen kann, sollte immer mehr dicht machen und ein Großteil der Bevölkerung daheim sein.
F. und ich waren heute Morgen eine Runde um die Alster laufen. Es war unglaublich, wie viele Leute unterwegs waren und auch wie viele Menschen man jetzt draußen auf der Straße sieht. Für einen Spaziergang oder etwas Sport nach draußen zu gehen finde ich ja noch in Ordnung, wobei es in den großen Städten doch schon schwer wird Abstand zueinander zu halten. Dennoch – ganz und gar nicht mehr raus, keine frische Luft und auch keine Bewegung, das kann es auch irgendwie nicht sein.
Abgesehen von diesen drei Stunden in der Woche und 1 bis 2 Einkäufen innerhalb von 14 Tagen, versuche ich mich drinnen zu beschäftigen.
Heute werde ich mir noch einen Plan erstellen, damit ich auch in dieser Ausnahmesituation weiter Routinen habe. Eine Liste voll mit Dingen, die ich mal erledigen könnte, gibt es auch schon. Alle Skripte für diese Semester habe ich heruntergeladen, nächste Woche soll dann auch die Umsetzung der Online-Lehre/-Unterstützung anlaufen, dann kann es also richtig losgehen. Bis Freitag bin ich sowieso noch in Hamburg – F. und ich wollten uns noch mal sehen, bevor es zu solchen Maßnahmen wie Ausgangssperren kommen sollte oder sie das Schichtsystem so umstellen, dass er nahezu jeden Tag in der Arbeit ist.

Ich hoffe, dass sich langsam jeder der Lage und dem Sinn hinter den Maßnahmen bewusst wird. Sich ein paar Wochen daheim beschäftigen ist sicherlich kein Problem, aber irgendwann fällt jedem die Decke auf den Kopf.

Coronawut.

Ich muss noch schnell ein bisschen Dampf ablassen, bevor ich gleich im Bett verschwinden kann um morgen früh aufzustehen und den ganzen Tag zu lernen.

Corona macht mir einen Strich durch die tollen Pläne, die ich für dieses Jahr hatte. Am Wochenende ist das große Wiedersehen mit A., seit sie vor gut 7 Monaten unsere WG verlassen hat. Das AnnenMayKantereit-Konzert? Abgesagt.

In zwei Wochen sollte es für ein Internationales Uni-Programm in eine kleine belgische Stadt gehen. Info am Montag: Die Wahrscheinlichkeit, dass es wegen Corona ausfallen muss ist sehr gering. Heute: Die Absage.
Erstattung für Flug und Bahn gibt es – wenn überhaupt – nur teilweise. 90€ sind dann vermutlich weg, bekommen wir die Anmeldegebühr von der Uni nicht zurück, sind es 170€. Vielleicht ist es etwas egoistisch, aber das ist eben kein Geld, dass ich „mal so“ übrig habe. Es ärgert mich einfach ungemein.

Im Grunde halte ich sehr viel von Impfungen und Herdenschutz und finde es extrem wichtig, diejenigen zu schützen, die sich selbst nicht wirklich schützen können. Aber diese ganze Panikmacherei geht wirklich über alle Maßen gegen den Strich und sorgt dafür, dass ich mich über Maßnahmen enorm ärgere, für die ich sonst vielleicht Verständnis gehabt hätte.

Umdenken.

Neue Gewohnheiten anzunehmen ist nicht leicht, besonders dann nicht, wenn man Dinge bereits seit über 20 Jahren tut. Umso mehr freue ich mich darüber, wie sehr gerade ein Umdenken in Teilen meines Freundes- und Bekanntenkreises stattfindet. Und vor allem auch in mir.

Im letzten Jahr war ich die ersten Male auf dem Markt. Im meiner Kindheit war das nie ein Thema. Der Markt im Nachbarort bestand aus zwei Ständen und war zu Zeiten, in denen meine Eltern arbeiten war. Der große Markt in der Stadt wurde in all den Jahren vielleicht ein oder zwei Mal besucht, an einem Samstag an dem eh Besorgungen erledigt wurden und man nicht für eine Sache noch in den Supermarkt springen wollte.

Dabei liebe ich es, neue Sachen dort zu entdecken, zu bummeln und all das Obst und Gemüse anzusehen, das einfach so viel besser aussieht als im Discounter. Ich würde gerne öfter dort einkaufen, aber solange ich noch von einem 450€-Job lebe und am Ende des Monats auch mal Geld weglegen möchte und muss, ist das schwer.

Dennoch findet ein Umdenken statt. Und ich investiere, in Dinge wie Hafermilch oder Saft und Joghurt in Glas verpackt. Dinge, die teurer sind als Billigware von dem Discounter, in dem ich gerne einkaufe. Doch all die Debatten um die Klimakrise und all das Versagen der Politik haben mich darin bestärkt, dass jeder kleiner Schritt zählt und dass man JETZT damit anfangen muss.

Ich möchte weniger Kuhmilch verbrauchen, versuche mich an Milchalternativen. Ich würde auch auf Sojajoghurt zurückgreifen, da stehe ich jedoch selbst mit mir in Konflikt – es gibt ihn nur in Plastikverpackungen. Also esse ich weiter Joghurt und Käse aus Kuhmilch, versuche dabei aber auf plastikarme Verpackungen und Bio-Siegel zu achten.

Ich versuche mein Obst und Gemüse unverpackt oder in mitgebrachten Netzen zu kaufen. Ich war das erste – und sicher nicht das letzte – Mal im Unverpackt-Laden. Ich benutze Wattepads, die Mama mir genäht hat und probiere bald das erste feste Shampoo aus. Bei Geschenken versuche ich mich an selbstgemachtem. Kerzen, Kosmetik und wenn es klappt auch Bienenwachstücher.

Während der Fastenzeit – bis auf zwei Ausnahmen – möchte ich auf Fleisch verzichten. Herausfinden, ob das langfristig Teil meines Lebensstils werden könnte.

Seit einer Weile schon kaufe ich deutlich weniger Kleidung und wenn, dann Second-Hand auf dem Flohmarkt oder „Kleiderkreisel“.

Und ich bin stolz auf mich. Auf jeden Schritt den ich gehe und auf jeden Versuch, auch wenn er vielleicht scheitert. Stolz darauf, meine Position zu behaupten und meine auch Eltern Schritt für Schritt zu einem anderen denken zu bewegen. Sie sind kritisch “Mehr als einen Liter Milch in der Woche verbrauchst du doch nicht.” und “Hafermilch ist der größte Beschiss. Weißt du wie billig das in der Produktion ist? Und dann verkaufen sie es dir für 2€!” waren Aussagen, die ich mir anhören musste. Als meine Tante und ich uns am Wochenende aber über Milchalternativen, Soja und Fleischverzicht austauschten, wurde meine Mama leise und nachdenklich und schloss das Gespräch mit “Ich mache meinen Joghurt ja sowieso immer selbst. Vielleicht kann ich es ja auch mal mit Sojamilch probieren. Wenn es nichts ist, kann ich ihn immer noch wegtun.” Unermüdlich sucht sie schon eine Weile nach Rezepten, um meinem Vater einen fleischlosen Tag in der Woche schmackhaft zu machen. Ich bin stolz auf meinen Opa und seine Lebensgefährtin, die zwar erschrocken waren als ich mich auch am zweiten Tag nur mit Kartoffeln und Gemüse satt aß, aber verständlich nickten und der Meinung waren jeder dürfe essen wie er mag. Ich bin stolz auf K., die ihren Lieblingskaffee nur im eigenen Becher to go mitnimmt und dabei immer Sojamilch bestellt, auf M., die mir von ihren liebsten vegetarischen Rezepten erzählt und auf F., der mit Begeisterung mit mir über Märkte schlendert, Unverpackt-Läden besucht und sich nun Glasbehälter für zukünftige Einkäufe dort angeschafft hat. Ich bin froh über meinen Chef und meine Kollegen im Praktikum, die an einem Freitag um 13 Uhr Feierabend machten um bei der Hamburger Großdemo mitzumachen.

Und ich hoffe, dass jeder sich irgendwann traut einen kleinen Schritt nach dem anderen zu machen.