Vermissen.

Er sieht gut aus, wie er da vor mir steht, ein groß gewachsener starker Mann, in seiner dunkelblauen Uniform mit dem Gürtel, der unter der Jacke vorlugt und dem Holster um den Oberschenkel. Manchmal kann ich es gar nicht fassen, dass der zu mir gehört. Ich denke an den Tag, an dem ich ihn das erste Mal gesehen habe. Als er statt der Jacke diese Weste über dem T-Shirt trug, als er mit seinem schlacksigen Gang und diesem Blick, den er manchmal hat, auf mich zu kam. Der Moment in dem in mir diese klischeehafte Vorliebe für Männer in Uniformen geboren ist.
Sein Duft hängt noch in meiner Wohnung. Es riecht nach seinem Duschgel, seinem Deo. Aber es riecht auch nach Wärme und nach Geborgenheit, weil mir dieser Geruch sonst eigentlich nur dann in der Nase liegt, wenn er mich im Arm hält. Seit kurzem raucht er (wieder). Er höre bald wieder auf, sagt er. Vielleicht liegt es daran, dass ich noch nie mit einem Raucher zusammen war, vielleicht an seinen Zigaretten, aber es ist mir zuwider. Nur jetzt, wo mein Herz so laut protestiert, dass hinter ihm die Wohnungstür ins Schloss gefallen ist, vermisse ich selbst das.

Es geht mir nicht gut. Ich weiß nach wie vor nicht, ob ich mich zwischenzeitlich einfach selbst belüge oder immer wieder in dieses Loch zurückfalle. Ob die Lockerheit zwischendurch eine Maske ist, die ich mir selbst abnehme, oder echt. Er weiß, dass etwas nicht okay ist. Wenn er fragt, schaffe ich es kurz, die Maske wieder aufzusetzen, doch sie bröckelt sehr schnell. Wir sind sehr ehrlich zueinander. Manchmal streiten wir. Etwas, dass ich bisher in meinem Leben kaum kannte, etwas, dass ich nie gelernt habe. Es ist nichts böses, nur oftmals sehr emotionsgeladen. Die Situation nagt an uns beiden. Selbst er weint manchmal, wenn es wirklich ganz besonders aussichtslos erscheint. Er, von dem ich mir sicher bin, dass das sonst so gut wie nie vorkommt. Es beruhigt sich schnell, aber wir sind dennoch ehrlich. Das macht es nicht immer leichter, aber das schätze ich an unserer Beziehung. Und eben auch, dass ich so ehrlich zu ihm sein kann, dass ich ihm sagen kann, wenn es mir nicht gut geht, und dass er aushält was und wie ich fühle. Auch wenn er meist weniger emotional ist. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb? – strahlt er eine große Ruhe aus. Er macht sich nicht zu viele Gedanken, er plant nicht 100 mögliche Szenarien im Kopf, er ist einfach hier. Versteht oft das Problem nicht, aber er ist da. Wir sind beide da, obwohl weglaufen für jeden von uns leichter wäre.
Es geht mir nicht gut. Und alles in mir protestiert, dass er schon wieder gehen muss. Bei ihm kann ich zur Ruhe kommen und ich hatte doch gerade erst damit angefangen. Als er gestern schon schlief, musste oder viel mehr konnte ich weinen. Und er schlief und schlief und das war okay. Einfach, weil ich endlich das rauslassen konnte, was in mir brodelt. Und weil ich nicht allein war. Er war einfach da. Und neben ihm zu schlafen, ständig aufzuwachen, aber uns dabei jedes Mal noch kuschelnd vorzufinden – was lange nicht vorkam, weil zu warm, zu unbequem oder einer krank – war viel zu schön, als dass ich jetzt wieder nächtelang darauf verzichten könnte.
Es geht mir nicht gut. Und diese Gefühlsachterbahn macht mich wahnsinnig. Ich ringe wirklich lange mit mir, bis ich es schaffe mich zur Uni aufzuraffen. Dabei tut es mir gut, nicht alleine zuhause zu sein. Generell ist es gerade schwer, mich zu irgendwas aufzuraffen. Für einen Moment will ich es sogar, denke mir „ja, das machst du jetzt!“, dann denke ich kurz an etwas anderes und sämtliche Motivation ist wieder verschwunden. Egal ob es nun darum geht endlich die Wollmäuse unterm Kleiderständer wegzusaugen oder mich mit einem guten Buch in die Sonne auf den Balkon zu setzen und den ersten schönen Frühlingstag hier zu verbringen. Zuhause ist mein Bett gerade mein safe place. Und dabei hab ich nicht mal große Lust auf Netflix und co. Schlaf und mein Handy sind die Hauptbeschäftigung. Bin ich aber in der Uni, lache ich mit meinen Kommilitonen, überlege ob wir gemeinsam Urlaubspläne schmieden und freue mich mit ihnen, dass die Idee eines eigenen Hochschul-Chors aufgekommen ist und sie da auch Interesse dran haben. Ich genieße die halbstündige Fahrradfahrt nach Hause, die Sonne im Gesicht. Überlege sogar noch, kurz abzubiegen und mir auf der Altstadtinsel ein Eis zu holen und am Fluss das Wetter zu genießen. Freue mich über das Angebot von M. vorbeizukommen, damit sie mir auch einen Smoothie macht. Lehne dann aber dankend ab, weil ich nicht die Kraft finde aus dem Bett aufzustehen und die 10 Minuten bis zu ihr zu fahren. Bin ich nicht durch irgendwas abgelenkt ist alles irgendwie anstrengend und schwer und zäh.

Ich würde gerne einfach wieder mehr Leichtigkeit verspüren. Und ich hoffe, dass die Sonne jetzt wieder mehr scheint und es bis in die dunklen Ecken meiner selbst schafft und dort ein bisschen Licht und Wärme spendet. Und dass die Uni wieder etwas mehr Routine bringt und ich mich wieder häufiger motivieren kann. Nächste Woche stehen zum Glück auch an den Nachmittag ein paar Dinge an, sodass die Ablenkung hoffentlich lange anhält. Und ich möglichst wenig diesen nur wenige Sekunden dauernden Phantomschmerz in Form von Gerüchen spüre.

3 Kommentare

  1. sternfluesterer · März 22, 2019

    Ein ganz großes, ganz lieb gemeintes 💖 (Herz mit Sternenstaub) für Dich. Meine Gedanken waren nie weg, sind aber heute nun noch einmal ganz besonders bei Dir.

    Alles nur erdenklich Liebe für Dich, liebe Anna!

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  2. Fräulein Ines Klitzeklein · März 23, 2019

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